Schön, in England Freunde zu haben
Seit nunmehr 45 Jahren besteht der Partnerschaftsverein zwischen dem Landkreis Roth und dem Borough of Brentwood, einem Vorort von London in der Grafschaft Essex. Jährliche gegenseitige Besuche sind zur Tradition geworden. Heuer waren die deutschen Teilnehmer von ihren englischen Freunden eingeladen worden. Landrat Ben Schwarz hatte es sich nicht nehmen lassen, die 19-köpfige Gruppe vor seinem Amtssitz zu verabschieden. Darunter waren seine Stellvertreterin Ursula Klobe, Kreistagsmitglied Christoph Raithel, sowie zwei Mitarbeiterinnen des Landratsamts.
Mit dem Bus ging es zum Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen und dann per Airbus zum Londoner Flughafen Heathrow. Manche erinnerten sich an das vorletzte Jahr, als sich der Bus durch die vielen nächtlichen Baustellen hatte durchquälen müssen. Mit der neu eingerichteten „Elizabeth-Line“ gelangte man nun schneller nach Brentwood, wo man von den Gastgebern ein „heartily welcome“ erfuhr.
Neben Oxford ist Cambridge wohl die bekannteste Universitätsstadt im britischen Königreich. Viel Interessantes wurde bei einer Stadtführung durch Cambridge über die 31 Colleges berichtet, die in etwa unseren Fakultäten entsprechen, aber eine stärkere soziale Komponente aufweisen. Man ist lebenslang Mitglied, allerdings gegen Bezahlung. Von den Colleges führen Brücken über den Fluss Cam, auf dem in großer Zahl originelle Punting-Boote unterwegs sind, die von einem Fährmann mittels einer langen Stange gestakt werden. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist die prachtvolle spätgotische King’s College Chapel, wo der berühmte gleichnamige Chor seine Heimat hat. Am Nachmittag ging es hinaus in die Natur zu einem Imker und seinen „Ivy Cottage Bees“. Astronautenähnlich gekleidet wurde das Innenleben der Bienenstöcke erforscht. Dann wurden Honig verkostet und Kerzen gedreht.
Der größte nichtkönigliche Palast Englands ist Blenheim Palace in der Grafschaft Oxfordshire. Eigentlich müsste es „Blindheim“ heißen, denn im Jahre 1704 fand in Blindheim bei Höchstadt im Landkreis Dillingen an der Donau eine entscheidende Schlacht im Spanischen Erbfolgekrieg statt. Ein alliiertes Heer aus Kaiserlichen und der Reichsarmee unter Prinz Eugen von Savoyen sowie englischen Truppen unter John Churchill, 1. Duke of Marlborough besiegte am 13. August eine vereinte französisch-bayerische Streitmacht unter dem Marschall Tallard und Kurfürst Maximilian. Das Schloss wurde für John Churchill von Königin Anne als Belohnung für seine militärischen Erfolge erbaut. Heute erinnert eine Ausstellung an den bekanntesten Nachfahren des Dukes, Sir Winston Churchill, der 1874 hier geboren wurde. Mit seinem Victory-Zeichen, nämlich den zu einem „V“ gespreizten Mittel- und Zeigefinger, hatte er während des 2. Weltkriegs seine Landsleute zum Durchhalten aufgefordert.
Der Sonntag ist frei von offiziellen Veranstaltungen. Manche nutzten ihn, um in Chartwell House and Garden – Churchills Wohnung von 1922 bis 1965 – mehr über diesen Staatsmann zu erfahren. Viele besuchten London trotz 33 Grad Celsius. Andere suchten an der Küste Abkühlung.
Der Montag begann mit einem gemeinsamen Frühstück. Dann wurde die benachbarte Brentwood Brewery besucht. Dave Holmes und Roland Kannor hatten vor 18 Jahren in einem Pub gewissermaßen in Bierlaune beschlossen, ein „besseres Bier“ zu brauen. In einer Führung erfuhr man Wissenswertes über Gerste, Hopfen, Temperaturen und Lagerung. Christoph Raithel übersetzte fachkundig ins Deutsche.
Traditionell findet als Abschluss des Besuchs ein Freundschaftsabend statt. Diesmal stilgerecht im Festsaal von Ingate Stone Hall, einem Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, das heute dem 13. Sir Petre gehört. „Sans Dieu Rien – Nichts ohne Gott“ steht über dem Zufahrtstor. In einem sogenannten Priesterloch konnte sich wie hier in katholischen Familien ein Priester verstecken, wenn er verfolgt wurde. An diesem Abend rollte feierlich ein schwarzer „Jaguar“ mit Standarte durch besagtes Tor und näherte sich dem Herrenhaus. Dem Wagen entstieg ein großer Herr in feierlichem, rotem Ornat gekleidet und mit einem Zweispitz auf dem Kopf. Die Robe mit Pelzbesatz verlangte angesichts der hochsommerlichen Temperaturen dem Träger einiges an Durchhaltevermögen ab. Trotzdem winkte Mayor Marc Haigh den Umstehenden freundlich lächelnd zu. Der Mayor ist jeweils für ein Jahr der Repräsentant eines Boroughs, also einer Verwaltungseinheit. Auch frühere Mayors waren gekommen, darunter Tony Sleep, der aktuelle Vorsitzende des „Town Twinning“. Er begrüßte Mayor Haigh zusammen mit seiner Frau Alison.
Auf Deutsch begann Haigh: „Herzlich willkommen, liebe Gäste aus dem Landkreis Roth“, um dann in Englisch eine Lobrede auf Deutschland zu halten. Am meisten schätze er deutsche Autos , die wohl die besten der Welt seien. Dann hätten es ihm deutsches Bier, vor allem „White Beer“ und die Weihnachtsbräuche angetan. Last, but not least seien es die „Friends of Deutschland“, die er so schätze, und „We are Friends of Yours“.
Anne Klier, die Vorsitzende des Freundeskreises auf deutscher Seite, bedankte sich für die überaus herzliche Aufnahme und für die perfekte Organisation des Besuchs durch Chairman Tony Sleep und Jane Winter. Dann ließ sie - in English of course - die Highlights der vergangenen Tage revuepassieren. „Thank you for all your friendship“, sagte sie zuletzt, nachdem sie die Einladung zu einem Gegenbesuch im nächsten Jahr ausgesprochen hatte, die gerne angenommen wurde.
Ursula Klobe verlieh ihrer Freude über dieses Town Twinning Ausdruck und hoffte, dass diese Freundschaft noch lange bestehen werde.
Nun war es an der Zeit, das Abendessen zu genießen. Es gab – wie hätte es anders sein können - Fish and Chips, dazu Wein und Bier aus der Brentwood Brewery. Zur Unterhaltung spielte die Mountnessing Band mit „Stranger on the shore“ und anderen Oldies auf.
Manfred Klier Noch lange gab es an diesem Sommerabend Vieles zu erzählen. Man sprach auch darüber, dass man in Brentwood den 3. Oktober als Tag der „German Reunion“ feiert und dazu im Beisein des Mayors die Bundefahne hisst. Außerdem gibt es Kuchen in schwarz-rot-gelber Farbe. Sogar ein Oktoberfest gibt es, bei dem Bier aus einer Brauerei im Landkreis Roth ausgeschenkt wird.
Am nächsten Vormittag galt es Abschied zu nehmen. Die Heimreise entpuppte sich als ein gewisses Highlight. Zunächst startete das Flugzeug in Heathrow Airport mit eineinhalbstündiger Verspätung, da über München ein Unwetter tobte. Mehrmals umkreiste der Airbus dann später die drohenden Gewitterwolken, in denen Blitze zuckten. Schließlich gab es eine Zwischenlandung in Stuttgart, das Flugzeug wurde aufgetankt und es ging zurück nach München. Entspannt konnte man sich zunächst im Bus zurücklehnen, aber dann war die Autobahn bei Denkendorf gesperrt. Schließlich lagen wohl die meisten gegen drei Uhr nachts im Bett und träumten von den interessanten Erlebnissen der vergangenen Tage. Wieder einmal war man von der Freundlichkeit der Menschen angetan gewesen, vor allem auch, wenn man sich als „from Germany“ geoutet hatte. Positiv hatte man auch die gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr und beim „Queuing“, dem Schlangestehen, bemerkt.
Das freundschaftliche Verhältnis der Bevölkerung von Brentwood zu Deutschland hat noch viel frühere Wurzeln. Wie Jane Winter, sie hatte eine deutsche Großmutter, berichtet, hatte man hier über Weihnachten 1961/62 sechs Flüchtlingskinder aus Ostberlin aufgenommen. Man hatte Geld gesammelt und allein der Vikar hatte 21 Pfund gespendet, damals eine erhebliche Summe. Die Kinder wurden später in ein Flüchtlingslager in Westberlin gebracht. Ihre Namen und die ihrer Gastmütter sind bekannt. Man versucht, über die deutsche Botschaft ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. John Exley, der damalige Chairman hatte diese Aktion als eine „local gesture for peace and reconciliation“ bezeichnet, also als eine Geste des Friedens und der Versöhnung.
Einige Jahre folgten Austauschprogramme zwischen der Realschule Hilpoltstein und Brentwood County High School. Realschuldirektor Rudolf Wollmarker und Councillor Keith Brown, der übrigens mit seiner Frau Rita zum Freundschaftsabend nach Ingatestone Hall gekommen war, unterzeichneten am 19.05.1979 die Partnerschaftsurkunde im alten Rathaus in Wendelstein zusammen mit Landrat Dr. Helmut Hutzelmann und Chairman Tom Brocklebank.
Am 05.04.1989 konstituierte sich der „Freundeskreis Brentwood e.V.“, Auf deutscher Seite hatte vor allem Maximilian Peschke schon zahlreiche Begegnungen organisiert und dafür den Beinamen „Mister Brentwood“ erhalten. Maria Reitmeir übernahm den Vorsitz. Oft wurde die von Lorenz Winter komponierte und getextete Hymne „Let us be good friends“ gesungen. Auf englischer Seite hatten sich vor allem Jill Dimmock und Roy Stevenson engagiert.
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